Im Teil 1 dieses Berichtes in der TauchHistorie 13/2020 hat der Autor von seinem Eintritt ins Tauchen, der Ausbildung in einer Berliner Sporttaucher-Gruppe und bei der DDR-Volksmarine und von Einsätzen in der sog. Taucher-Aufnahme-Gruppe und schon im Bergungsdienst erzählt. Letzteres führt er hier fort, bis zum Ende seiner Dienstzeit in der Volksmarine. Mein Taucherbuch (Teil 2) Von Lutz Strobel Bergungsdienst im Einsatz (27.09.1963) Es war immer interessant anzusehen, wenn sich die damals noch in Sassnitz liegenden Küstenschutzschiffe aus dem Hafen manövrierten: Langsame zurück von der Pier, mit hart Steuerbordruder ins Hafenbecken, dann Stopp und voraus um den Molenkopf... Klappte aber nicht immer. Als sich diesmal das KSS von der Pier löste, liefen die Turbinen wohl schneller als gewollt, es blieb möglicherweise keine Zeit für eine Ruderreaktion. Um den Heckaufprall an der Steinmole zu dämpfen, kam Volle voraus. Es krachte achtern, das Schiff reagierte, lief voraus, schnitt sich mit dem scharfen Bug fast einen Meter in die hölzerne Querpier und blieb so liegen. Auf unserem Einsatzbefehl stand: Untersuchung der Mole sowie Schrauben-und Ruderuntersuchung am KSS, in der Reihenfolge. An der Mole gab es bis auf geringe „Schürfwunden“ keine Schäden... Auf dem Achterdeck des KSS wurde ich vom LI eingewiesen. Meinem Signalmann versicherte er, dass die Maschinen außer Betrieb seien. Ich sprang achtern ins Hafenwasser, gab ein „Alles in Ordnung“ nach oben und tauchte ab; erstmalig an einem KSS. Die Sicht war einigermaßen gut, ich erkannte die Ruder und schwamm unter das Heck zu den Propellern. Schrecksekunde! Die Schrauben begannen zu drehen! Fluchtartig schoss ich unter dem Heck hervor, tauchte auf -und sah an Deck den grinsenden LI und meinen fast lachenden Signalmann, der mir zurief, dass die Propeller ständig langsam von einem Elektromotor gedreht würden... Skeptisch näherte ich mich der Backbord (Bb)-Schraube. Doch dann klammerte ich mich „mutig“ an eine der Fluken. Karussellfahrend untersuchte ich so Fluke für Fluke. Ich fand keine Risse, Abbiegungen oder Splitterungen. Auch die kräftigen Ruderschäfte standen, soweit feststellbar, senkrecht, und die Blätter zeigten nur geringe Farbabschürfungen. Es war wohl Glück im Unglück... Bergungsdienst im Einsatz (28.11.1963) Bevor auf dem Bug bei Dranske Schnellboote stationiert wurden, gab es da Ende November 1963 für den Grenzkutter G-76 eine Falle der besonderen Art: Bei Mondlicht lag das Boot in ruhiger See sundseitig am Buger Haken vor Anker. Dachte man an Bord jedenfalls und sparte sich zugunsten gepflegter Nachtruhe die Ankerwache. Doch der Anker hielt nicht und G-76 lag am Morgen mit ganz geringer Bb-Krängung auf ebenem Kiel an Land - der Smut hätte trockenen Fußes Frühstücksbrötchen holen können, so es denn auf dem noch fast unbebauten Bug einen Bäcker gegeben hätte... Der Bug gehörte zum Territorium der 6. Flottille, und der Leiter Bergungsdienst im Kommando der VM beauftragte mit der Bergung des Grenzers logischerweise den BD der 6. Flotte in Sassnitz. Der BD aber bestand dieser Tage nur aus seinem Chef und zwei Tauchern. Das Kommando übernahm die weitere Organisation. Wir drei fuhren mit allem nötigen Gerödel nach Parow, stiegen auf ein Feuerlöschboot, liefen nordwärts zum Havaristen. Dort war die Besatzung schon dabei, ihr Boot zu leichtern: Munition lag bewacht an Land, Wasser war abgepumpt. Da die Wassertiefe für einen kräftigen Schlepper zu flach war, wurden zwei Landungsboote aus Parow angefordert, deren Rückwärtsfahrstufen den nötigen Zug aufbringen konnten. Schnell waren zwei Trossen zwischen den Heckpollern des Havaristen und den Bugpollern der Labos belegt. Achteraus der Labos liefen je zwei Trossen auf einen Hahnepot und von dem eine Leine zum Heckhaken des Feuerlöschbootes; so sollte ein Ausscheren der „Zugpferde“ verhindert werden. Alle brachten sich in Sicherheit, auf G-76 verblieb eine Notbesatzung. Die Labos und das Feuerlöschboot gingen synchron auf Halbe zurück beziehungsweise voraus, die Trossen kamen aus dem Wasser, Tropfen spritzten rundum ab, es kam Zug drauf. Volle zurück! G-76 rührte sich nicht, aber mit lautem Knall rissen die Poller aus dem Achterdeck und schwirrten, vom nachlassenden Reck der Trossen beschleunigt, wie Kanonenkugeln über die See, klatschten vor den Bugklappen der Labos ins Wasser. Die Schiffe gingen auf Stopp. Stille! Als sich der Schreck gelegt hatte, kleideten wir einen Teil der Grenzerbesatzung in unsere Ersatz-Taucheranzüge, drückten ihnen zwei C-Strahlrohre in die Hände, steckten eine Schlauchverbindung zum Feuerlöschboot. (Übrigens alles mit Schlauchbooten, Trossenübergaben und Schlauchverbindungen usw.) Und so spülten die Jungs im schon schweinekalten Wasser achtern, etwa drei bis vier Meter vom Spiegel nach mittschiffs, einen Tunnel unter ihrem Boot. In den „tauchten“ wir von beiden Seiten soweit wir kamen und steckten eine Leine durch, mit der dann eine Bergungstrosse voll um den Bootskörper gelegt wurde; wie eine Umarmung. Gut verschäkelt, nicht als Schlinge. Daran kam nun wieder das Bergungsgeschirr, diesmal eine Trosse vom Havaristen auf Hahnepot, zwei Leinen zu den Labos und weiter wie gehabt zum Feuerlöschboot. In der Zeit wurde von G-76 noch der Diesel abgepumpt. Die Schlepptroika ging auf Langsame zurück, die Spannung stieg bei den Beobachtern an Land. In die Leinen kam Zug. Bei Volle zurück schnitt sich die Umfassungsleine in die Deckskanten, doch dann ging ein Ruck durch das Boot, es löste sich zögernd aus dem Sand, richtete sich auf und schwamm. Nur, um nach wenigen Metern fest auf eine Sandbank aufzulaufen, die das vom Mond verlassene Wasser wie eine Barre vor der Küste des Buger Haken zurückgelassen hatte. Die folgende Stille fand in Flüchen ein Ende, die hier nicht zitiert werden können. Die Enttäuschung hielt nicht lange an, G-76 musste da runter! Der Gedanke, die Sandbank stellenweise wegzuspülen, wurde gleich verworfen; der Strom hätte alles sofort wieder gefüllt. Wir brauchten eine schnell geschlagene, tiefe Kerbe. Sprengen! Ein Lkw der Pioniere brachte uns gut zweieinhalb Zentner TNT in 400-g-Körpern, dazu elektrische Zündkapseln, Kabelrollen, zwei Zündmaschinen und einen Packen Plastbeutel. Wir zwei Taucher setzten uns jeder auf eine Sprengstoffkiste und bereiteten die Ladungen vor: Je acht Sprengkörper, einer mit Sprengkapsel, in einen Beutel, der mit dem Zünddraht der Sprengkapsel zugebunden wurde; die Enden des Drahtes blieben frei. Mehr als 60 solcher Beutel stapelten sich später am Wasser. Wir brachten sie tauchend einzeln zur Sandbank hinter dem Heck von G-76 und legten sie unter Wasser auf etwa 25 m² flächig aus, verknoteten die Zünddrähte mit sauberen „Puppen“ -ohne Handschuhe im eiskalten Wasser! Schlussendlich saßen auch die Knoten mit dem Zündkabel, dass wir nun zum Strand abrollten und an die Zündmaschine anschlossen. Die Schlepptroika war bereit. Befehl zur Zündung! Unsere zähneklappernde Diskussion, wer denn auf den Knopf drücken darf, beendete mein Partner auf seine Weise: Er kurbelte und drückte! Ein dumpfes Wummern, dann stiegen Wasser und Sand in die Höhe. Signal für die Labos, auf Zurück zu gehen. Kaum war die vorsichtshalber verlängerte Leine aus dem Wasser, drehte sich G-76 anmutig durch die freigesprengte Lücke und glitt ins freie Wasser... Schnell war nun alles wieder verstaut, die Labos liefen ab, ein kleinerer Schlepper nahm G-76 auf den Haken, das Feuerlöschboot kam unter Land und wartete auf uns. Wir aber hatten ein Problem: Mehrere gepackte und mit Zündkapseln versehene Sprengbeutel lagen noch am Strand; wir hatten sie nicht gebraucht. Entpacken war nicht erlaubt, sie mussten einzeln gesprengt werden. Also zogen wir mit allem den Bug landeinwärts bis zu einer der zerstörten Betonwannen des einstigen Wehrmachts-Flugplatzes. Einzeln sprengen? Wir wollten zurück nach Sassnitz! Und so lagen dann die Beutel allesamt auf dem Betongrund, ordentlich mit dem Zündkabel verbunden. Wir machten uns mit der ablaufenden Kabelrolle auf den Weg. Und standen bald vor der nächsten Betonwanne. Zwar innerhalb der geforderten Sicherheitsentfernung, bot sie doch gute Deckung. Kurbeln und Zünden! Der Knall war deutlich lauter, und als vor unserer Deckung Betonsplitter in die Erde prasselten, schauten wir uns etwas schuldbewusst an, konnten dann aber ein breites Grinsen nicht unterdrücken - Krawumm! Mit dem Feuerlöschboot verließen wir den Buger Haken Richtung Parow, am Strand war bis auf einige Reifenspuren von der ganzen Bergungsaktion nichts mehr zu sehen... Bergungsdienst im Einsatz (29.01.1964) Der Oktober des vergangenen Jahres war ausgefüllt mit einem Schiffstaucherlehrgang in Theorie und Praxis. Danach Sucharbeiten im Sassnitzer Hafen, eine Minenbergung auf Reede Göhren und Schiffsboden- und Ruderuntersuchungen - dann war nicht mehr viel zu tun. Um aber ständig einsatzbereit zu sein, mussten wir monatlich mindestens zwei Tauchstunden zu Buche stehen haben - im Winter ziemlich unangenehm, aber nicht zu umgehen. Im Januar 1964 warteten wir ab, hatten aber keine Einsätze, also mussten wir diese Pflichtstunden bis zum Monatsende tauchen. Am Sassnitzer Molenkopf war alles eisfrei, und so nutzten wir die Zeit zwischen zwei Fähren zum Tauchen: Heller Sand und Riffel. Wieviel dieser Riffel hatte ich schon gesehen? Gedankenverloren schwebte ich über den Grund. Bis mich Herbert recht ruppig anrempelte und auf eine Ansammlung von Steinen wies. Nun gut, Steine. Die nächste Kopfnuss aber ließ mich genauer hinschauen. Die Steine entpuppten sich als wirr am Grund liegende, mit Algen überwachsene große Granaten - genau in der Fahrrinne! Ruhig und behäbig lagen ihre dickleibigen Körper im Sand, Brocken verrosteten Eisens. Doch strahlten sie eine Gefährlichkeit aus, die ich fast körperlich spürte. Vorsichtig nahmen wir mit einer unserer Verbindungsleinen die ungefähren Maße und zählten durch. Nach der Meldung über unseren Fund lief das entsprechende Regime ab. Am 29.01. dann wurde der Fährbetrieb unterbrochen, auch die Fischerei blieb im Hafen. Sorgfältig vorbereitete Ladungen lagen im Bugteil eines Schlauchbootes, im Heck standen die Trommel mit der Zündleitung und die Zündmaschine. Ich nahm die Zündkurbel an mich, und zu zweit machten wir uns auf den Weg zu den Granaten; Gerd im Schlauchboot folgte unseren Luftblasen. Über dem Granatenfeld kam vom Boot eine Leine mit einem kleinen Draggen, den wir zwischen Steinen verkeilten. Ein Zug an der Ankerleine, und die erste Ladung wurde herabgelassen. Ich löste den Slip, die Leine wurde eingeholt, die zweite Ladung folgte, die dritte. Wir verteilten die Ladungen an einigen Granaten und verdämmten sie mit Steinen. Dann erst trennten wir die zusammengedrehten Enden der Zünderleitungen. Vom Boot kam das Ende des Zünddrahtes und einige Verbindungsdrähte. Wir schlossen mit „Puppen“, den speziellen Knoten für die elektrische Zündung, alle Ladungen in Reihe an die Zündleitung. Nach einer letzten Kontrolle tauchten wir auf und kletterten ins Schlauchboot, nahmen Kurs Steilufer Dwasieden. Langsam trommelte die Zündleitung ab. Herbert säuberte noch einmal die Kontakte der Maschine. Ich schoss eine Grün in den Winterhimmel, und Herbert schloss die Leitung an. Jetzt erst gab ich ihm die Kurbel. Er setzte sie auf den Vierkant, ich schoss einen roten Stern. Ein paar gleichmäßige Kurbelumdrehungen - ein dumpfer Schlag ging durch das Wasser. Am Sprengort stieg eine längliche Wassersäule aus der See, zögerte und brach dann rauschend zusammen. Eine Stunde hatten wir zum Aufwärmen, dann ging es noch einmal für 40 Minuten zur Nachsuche ins eiskalte Wasser. Wir fanden aber nur noch Schrott. Komischerweise auch keinen essbaren Fisch wie sonst nach so einem Knall... Erklärende Einfügung In meinen Berichten schreibe ich oft von Schiffsboden, Ruder- und Schraubenuntersuchungen oder auch vom Klarieren von Schrauben. Da sich das „fahrende Volk“ möglicherweise nicht vorstellen kann, was da unter ihren Schiffen so passierte, hier einige Erläuterungen dazu: Es kam doch relativ häufig vor, dass Schiffe Grundberührung hatten. Der Kommandant war dann einerseits verpflichtet, die Grundberührung zu melden, andererseits wollte er aber auch ein genaues Bild von dem entstandenen Schaden am Unterwasserschiff bekommen (damit ist nicht gesagt, dass jedes Schiff bei einer Grundberührung Beschädigungen davonträgt). In den meisten Fällen erfolgte dann jedoch eine Schiffsbodenuntersuchung. Dafür gab es nun zwei Möglichkeiten: Entweder kommt das Schiff in die Werft und wird aufgeslipt, oder es wird ein Taucher vom Bergungsdienst angefordert, der das Unterwasserschiff besichtigt. Da letzteres im Vergleich zu einer Werftuntersuchung weit preiswerter und zeitsparender ist, hat man sich in den meisten Fällen dazu entschlossen. Speziell bei dieser Arbeit konnte ein leichter Taucher vorteilhaft eingesetzt werden. Schiffsbodenuntersuchungen Bevor der Taucher ins Wasser ging, erkundigten sich er oder sein Signalmann bei dem Maschinenpersonal, ob die Hauptmaschine abgestellt sei. Das Maschinen- sowie Deckspersonal wurde darauf aufmerksam gemacht, dass während des Tauchens die Hauptmaschine nicht angelassen und dass Ruder nicht betätigt werden dürfen. Dann wurde die Taucherflagge gesetzt (oder auch nicht...). Dem Taucher war selbst überlassen, ob er am Vor- oder Achterschiff mit der Untersuchung begann. War die Sicht unter Wasser schlecht, hat er eine Lampe mitgenommen. Er musste darauf achten, jeden Quadratmeter des Unterwasserschiffes sorgfältig zu untersuchen, um schadhafte Stellen mit Sicherheit zu erkennen. Er musste dazu den Aufbau des Schiffes kennen, um zu wissen, zwischen welchen Schotten oder Spantbereichen und in welchem Plattengang sich die defekte Stelle befand. Zum Unterwasserschiff gehören auch Schiffsschrauben und Ruder. Der Taucher untersuchte sie ebenfalls, denn in den meisten Fällen wurden Schiffsschrauben bei einer Grundberührung oder im Eisgang beschädigt. Teile aus den Fluken wurden herausgebrochen oder umgebördelt. Auch der Ruderschaft konnte verbogen sein. Kleine Scharten wurden nach Absprache oft sofort abgefeilt und kurze Risse nach Möglichkeit hinterbohrt, um Weitereißen zu verhindern. Und wenn schon mal unter Wasser, wurde auch gleich, wenn vorhanden, nach dem Zustand der Opferanoden geschaut und ihre Befestigung überprüft. Nach der Untersuchung berichtete der Taucher, was er festgestellt hatte. Häufig wurden dann ein schriftlicher Bericht abgefasst und, wenn nötig, Skizzen angefertigt. Klarieren von Schrauben Eine weitere Arbeit, die ein leichter Taucher gut ausführen konnte, war das Entfernen einer Leine (Hanf, Perlon oder Draht) aus der Schiffsschraube. Häufig bekamen Schiffe beim An- oder Ablegen an der Pier die Festmacherleine in die Schraube (was eigentlich nicht vorkommen dürfte). Allerdings waren es oft auch Leinen, die im Hafen achtlos über Bord geworfen worden waren, sich durch das Schraubenwasser vom Grund lösten und von der Schraube erfasst wurden. Der Taucher sollte nun die Leine aus der Schraube entfernen, damit das Schiff wieder einsatzklar und manövrierfähig wurde. In diesem Falle hatte der Taucher zunächst unter Wasser den Schaden zu besichtigen und dann erst das zum Arbeiten benötigte Werkzeug von oben zu holen. Hanf-und Perlonleinen ließen sich mit einem guten Tauchermesser verhältnismäßig leicht abschneiden. Anders sah es schon mit einer Drahtleine aus: Drahtleinen mit geringem Durchmesser wurden meist mit Hammer und Meißel entfernt. Schwieriger war es schon bei starken Schlepptrossen und Festmacherleinen, da hier das Meißeln wenig Zweck hatte. Wenn eine Winde vorhanden war, konnte man mit ihrer Hilfe die Trossen von der Welle herunterziehen. Hatte sich die Trosse zwischen Schiffsschraube und Wellenbock oder Stevenrohr auf der Welle so stark verklemmt, dass der Taucher sie nicht freibekam, konnte das Maschinenpersonal die Schiffswelle, so möglich, vom Getriebe lösen und die Schiffsschraube etwas nach achtern schieben. Die Windungen lagen dann nicht mehr so zusammengedrängt neben-und übereinander, worauf der Taucher die gelockerte Trosse leichter von der Welle entfernen konnte. Aber manchmal blieben eben doch nur Slipanlage oder Werft... Bergungsdienst im Einsatz (09. - 21.04.1964) Der Bug bei Dranske vor seiner Zeit als Schnellboothafen der Volksmarine wildes Land, bewohnt vom Förster und seiner Familie, gesprengte Zisternen und alte Anleger. Die ersten Bauarbeiten liefen, es wurden Spundwände für die Hafenbecken gerammt. Ein Holzanleger sah noch sehr gut aus, könnte eventuell vorerst genutzt werden -wenn da nicht ein Förstersohn eines Tages Karabinermunition aus unseliger Zeit mit nach Hause gebracht hätte, gefunden beim Baden am Anleger... Bei intensiver Besichtigung am 09. und 10. April 1964 stellten wir fest, dass hier bei Kriegsende mindestens zwei bis drei Munitions-Lkw ihre brisante Ladung ins Hafenbecken gekippt hatten. In den Tagen Mitte April fuhren Volker und ich nach Dranske, quartierten uns bei den Grenzern ein und tauchten mit leichtem Gerät täglich drei bis vier Stunden mit je einem Gummi-Eimer systematisch um den Anleger, sammelten die herumliegende Munition ein. War der Eimer voll, schwammen wir ins Flache und hievten alles auf den Anleger, wo ein Stabsmatrose der Marine-Pioniere das Zeug in Behälter auf einem Lkw G5 kippte. Als dann mal plötzlich die untergemischte Leuchtspurmunition anfing zu brennen, landete alles in Wasserfässern... Am 21. April war der Grund, soweit wir es erkennen konnten, geräumt. Der Anleger wurde meines Wissens noch ziemlich lange genutzt... Bergungsdienst im Einsatz (22.-29.05.64) Bis auf normale alltägliche Einsätze wie Lecks abdichten, Sucharbeiten, Schiffsbodenuntersuchungen und die Munitionsbergung im Hafen Dranske/Bug verliefen die Frühlingsmonate für uns recht ruhig. Doch dann kam ein Einsatzbefehl zur Torpedosuche. An sich waren solche Einsätze bisher nichts Ungewöhnliches, doch diesmal sollte es spektakulär werden... Wir liefen mit K-61 LUMME ins angegebene Übungsgebiet, bei Tonne 4 der Ostansteuerung Sassnitz fanden wir die gesetzte Boje, wurden dort von einem Torpedofänger erwartet. Wir begannen an der Boje im Wechsel unser bewährtes Suchverfahren in 25 Metern Tiefe -über Stunden erfolglos. Dass, was aber am nächsten Morgen geschah, war neu für uns - ein großes Küstenschutzschiff erschien im Suchgebiet. Und nach Absprachen begann ein von uns bisher so noch nicht praktiziertes Verfahren: Das KSS lief auf festgelegten und mit Bojen markierten Streifen langsam über Grund und suchte mit allen seinen elektronischen Suchmitteln den Ostseeboden ab. Im Kielwasser lief die LUMME hinterher, wir Taucher einsatzbereit an Deck. Ging vom KSS eine Boje mit beispielsweise rotem Stander von Bord, stoppte K-61 auf und einer von uns stieg an der markierten Stelle über die eingehängte Taucherleiter ins Wasser, tauchte für einige Zeit ab und kam wieder an Bord; der Torpedofänger barg die Boje. Warfen die Decksleute aber eine blaue Boje vom KSS, fuhr K-61 daran vorbei und ich sprang, gedeckt von den Aufbauten, an der Boje ins Wasser, war abgetaucht, bevor K-61 die Boje passiert hatte (das nicht abwechselnd, denn man war der Meinung, wenn man schon einen ehemaligen Kampfschwimmer unter sich hat, soll der doch...). Warum das alles? Neben den Volksmarineschiffen lief auf Parallelkurs in geringem Abstand die OSTE, ein Spionageschiff der Bundesmarine. So waren die roten Bojen willkürlich geworfene Ablenkungen, bei den blauen aber hatte das KSS ein Signal. Allerdings tagelang nur große Steine oder tiefere Kuhlen. Wir ahnten, dass es sich bei diesem Torpedo um etwas ganz Besonderes handeln musste... Die Farben der Bojenstander wechselten, die „heimlichen“ Einstiege und der Ausstieg auf den die Boje bergenden Torpedofänger wurden Routine. Abwechslung brachte der 27.05., das Echo aus 25 Metern Tiefe entpuppte sich als Kriegskutter, ein mit Bewaffnung auf dem Vordeck versehener Fischkutter. Nach der ersten kurzen Besichtigung notierten wir uns den Standort, wir wollten uns das Wrack bei Gelegenheit später mal genauer ansehen... Nachdem auch der fünfte Tag erfolglos vergangen war, akzeptierten die Leiter der Aktion nun doch die Umsetzung einer Idee von uns: Das KSS nahm die LUMME auf den Haken, wir brachten ein selbstgebautes Schleppbrett an zwei Leinen achteraus und ließen uns abwechselnd mit dem als Tiefenruder genutzten Brett Streifen für Streifen in 25 Meter Tiefe über den Grund ziehen. Nichts! Am 29. Mai dann wurde die Suche abgebrochen. Wir haben nie erfahren, weshalb gerade dieser Torpedo so intensiv gesucht wurde. Wenn es denn ein Torpedo war... Bergungsdienst im Einsatz (26./27.07.1964) Der Juni und auch Anfang Juli waren vergleichsweise ruhig: Eine Wrackuntersuchung, ein auf Grund gebliebener und gefundener Torpedo, Reparatur der Slipanlage in Parow, damit die auf Sommerslip liegenden Schnellboote wieder ins Wasser konnten, Untersuchung eines unter Wasser liegenden Kabelverteilers nach Kabelbrand an der Holzpier in Sassnitz, Minenbergung auf Reede Lobbe, einige Schiffsboden-, Schrauben- und Ruderuntersuchungen - also der Alltag im Bergungsdienst. Dann aber doch ein eher ungewöhnlicher Auftrag: Wir kannten den Begriff „Tauchersicherung“ im Zusammenhang mit Torpedoschießen oder Hubschrauberübungen; meist hielten wir uns dabei im Tauchanzug stundenlang irgendwo an Bord bereit, ohne ins Wasser zu müssen. Diesmal galt die Tauchersicherung aber einer besonderen Veranstaltung: Armeegeneral Lomsky, Verteidigungsminister der CSSR, besuchte seinen Kollegen General Hoffmann. Dieser wollte wohl zeigen, dass er, im Gegensatz zur CSSR, eine Marine hat. Jedenfalls besuchte Lomsky die Volksmarine, wir sollten die Tauchersicherung der Veranstaltung sein. Wir verlegten befehlsgemäß mit der LUMME K-61 nach Lauterbach, ankerten im Rügischen Bodden zwischen Hafen Lauterbach und der Insel Vilm. Dort lag, genau zwischen Hafen Lauterbach und Anleger Insel Vilm, ein herausgeputztes Wohnschiff der 6. Flottille vor Anker. Als erstes hatten wir an dem Riesending den Schiffsboden abzusuchen (nicht zu untersuchen!). Zu zweit und mit Gerätewechsel eine mehrstündige Aktion, die im Taucherbuch aber aus nicht nachvollziehbarem Grund nur unter „Pflichtstunden“ stehen durfte... Bergungsdienst im Einsatz (31.07.1964) An der Holzpier Sassnitz, wo sonst die KSS festmachten, lag ein MLR-Schiff, Krake oder Habicht, ich weiß es nicht mehr. Aber es war einer der eher seltenen Gäste in Sassnitz. Der Grund: Das Schiff konnte nur noch mit Langsamer fahren, da nach einer Übung das Unterwasser-Suchgerät nicht mehr voll eingefahren werden konnte; Taucherhilfe wurde gebraucht. Im relativ klaren Hafenwasser tauchte ich am späten Nachmittag unter den Kiel und sah sofort den nicht in Schiffslängsachse sondern etwas seitlich versetzt eingebauten Suchkopf. Schnell stellte ich fest, dass sich die große eiförmige Verkleidung des eigentlichen Suchgerätes gelöst und quer gestellt hatte. Mein Bericht stimmte den Kommandeur des Gefechtsabschnitts nicht fröhlich. Er zeichnete mir die Befestigung der Blechhülle auf, gab mir Werkzeug mit und ließ das Gerät etwas weiter ausfahren. Problemlos konnte ich nun das Riesen-Ei in die Bug-Heck-Linie drehen. Die Befestigung allerding ließ sich unter Wasser nicht reparieren. Nach weiterer Absprache hielt ich die Verkleidung in Normallage, schlug mit dem Messerknauf gegen den Schiffsboden, Zeichen für die Gasten im Horchraum, das Gerät langsam wieder einzukurbeln. Es klappte! Die Verkleidung saß wieder in ihrer Mulde, bildete eine Einheit mit dem Schiffsboden. Das Schiff konnte nun in normaler Fahrt ablaufen - allerdings wohl in die Werft... Am nächsten Morgen, dem 31.07., nun, sahen wir dem Ablegemanöver des Minensuchers zu. Schnell verließ das Schiff den Anleger, denn im Hafenbecken wartete bereits ein Landungsschiff Typ ROBBE auf den Liegeplatz. Wenige Stunden danach kam der Einsatzbefehl zur Waffensuche am Bug der ROBBE. Es war unser erster „Besuch“ eines solchen Landungsschiffes. Ein recht nervöser Offizier erklärte uns, dass beim Reinigen oder was auch immer einige Teile der 57-mm-Doppel-Lafette über den Bug Richtung Mole ins Hafenwasser geflogen sind. Uns war das etwas rätselhaft, doch zeigte man uns den Mündungsschoner (keine Fachbegriffe erwarten, ich bin kein Schießer gewesen...), ein kompliziert gefrästes und gebohrtes Teil, dazu irgendeine flache Scheibe und eine mindestens einen Meter lange Flachstahl-Spiralfeder. Oh ja, die konnte nun wirklich das wertvolle Teil über den Bug feuern und noch selbst hinterherfliegen... Vom alten Hafenschlepper des Hafenkommandos stieg ich vorsichtig ein, etwas weniger Blei am Gürtel als normal für fünf Meter Wassertiefe. Das hatte System, denn der Sassnitzer Hafen war „kreide“weiß am Grund, und jeder da hineinfallende Gegenstand hinterließ für einige Zeit ein gut erkennbares schwarzes Loch. Aber jeder Flossenschlag über Grund wirbelte die dünne Kreideschicht auf, der Grund wurde flächenmäßig schwarz. Mit weniger Blei am Gürtel und kopfüber blieben die Flossen oben, man musste sich damit quasi runterdrücken und die weiße Schicht blieb erhalten. Wir haben das übrigens nie jemandem erzählt, um unser Image als erfolgreiche Sucher nicht zu verlieren... Es war wie immer - wenige Meter vor dem Schiffsschatten sah ich zwei Löcher im Grund, schob vorsichtig meinen Arm senkrecht ins erste, tastete tiefer und konnte die flache Scheibe greifen. Schon etwas. Ich belegte sie mit einer Gürtelleine am nächsten Dalben und bohrte mich am zweiten Loch bis über die Schultern in den Grund, bevor ich die senkrecht im Modder steckende Spiralfeder ertastete. Das Ding war schwer, und auch meine voll gefüllte Lunge brachte nicht genug Auftrieb, da mussten dann doch die Flossen helfen. Der Kurs zum Dalben sah danach auch aus wie ein schwarzer Feldweg... Wo aber war dieses kunstvoll gefertigte Teil? Ich tauchte kurz auf, berichtete über meine Funde und über den Nichtfund. Besorgte Gesichter am Schanzkleid in der Höhe. Bis der Artilleriegast sagte, er habe das Teil ziemlich lange fliegen sehen. Also wieder runter, in gerader Linie Richtung Mole -und da war noch ein Loch in der Kreideschicht, etwa zehn Meter weiter. Wenig später hatte ich alles an einer Leine, die von dem Arigasten, dem nun nicht mehr so nervösen Offizier und meinem Signalmann gemeinsam eingeholt wurde. Bergungsdienst im Einsatz (02.08.1964) Unser Lkw G-5 rollt langsam durch die engen Straßen des kleinen Ostseedorfes Göhren. Uns folgt ein Kofferwagen, auf dessen Seitenwänden ein rotes Kreuz auf weißem Grund leuchtet. Die kleine Kolonne fährt in Richtung Strand. Hier springen wir aus den Fahrzeugen. Von der Ladefläche des Lkw wird ein Schlauchboot gezogen und ans Wasser getragen. Zwei Mann laden drei Seesäcke und drei graue Kisten ab. Ein Stabsmatrose trägt eine Sprengmeistertasche und einen Sprengmunikasten zum Schlauchboot. Als sich nun auch noch unser Chef und wir zwei Obermaaten entkleiden und schwarze Gummianzüge überstreifen, bricht einer der herbeigeeilten Fischer das Schweigen: „Leute, die wollen bestimmt die Mine, die dort am Wehr unserer Reuse liegt, unschädlich machen.“ Der Mann hat den Nagel auf den Kopf getroffen: Wir haben den Auftrag, einen minenähnlichen Gegenstand aufzuklären, der bei einer Unterwasser-Untersuchung der Reuse von einem Tauchsportler gefunden wurde. Mit kräftigen Schlägen treiben wir unser Schlauchboot an den Wehrpfählen entlang, bis der angegebene Pfahl erreicht ist, an dem wir das Schlauchboot festmachen. Langsam lassen wir uns über die Wulst ins Wasser gleiten. Schon nach ein paar Metern verharren wir -vor uns liegt die Mine. Langsam und mit aller Vorsicht umschwimmen wir das gefährliche Ding. Dann sehe ich es mir genauer an: Es ist eine stark bewachsene Kugel mit einem Durchmesser von etwas mehr als einem Meter. An ihrer oberen Hälfte finde ich vier kurze Stutzen. An der unteren Halbkugel befindet sich ein Fuß, besser gesagt, ein quadratischer Sockel. Bei näherer Untersuchung stellt sich heraus, dass es nur festgerostete Kiesel sind. Nun wäre es sehr einfach, die Mine direkt hier zu sprengen, aber dabei würde die ganze Reuse mit in die Luft gehen. Wir tauchen auf und halten am Schlauchbootrand kurzen Kriegsrat. Schließlich kommen wir überein, den Boten des Todes am Strand zu sprengen. Wir geben dem mitgekommenen Minenspezialisten, dem alten Kapitänleutnant Garisch, einige Zeichen, und er lässt den Strand von neugierigen Zuschauern räumen, die allerdings nur sehr widerwillig ihren guten Beobachtungsplatz verlassen. Ich tauche ab, nehme einen Tampen mit zur Mine, Volker bleibt im Boot. Wie soll ich aber den Tampen anschlagen? Mit aller Vorsicht prüfe ich die Haltbarkeit des Sockels und schlinge schließlich einen Pahlstek um ihn. Dann klettere ich ins Boot zurück. Von hier aus ziehen wir beide an dem Tau, und langsam kommt die Kugel der Wasseroberfläche näher. Als sie direkt unter dem Boot hängt, halte ich das Tau und Volker paddelt uns dem Strand entgegen. Als das Wasser flach wird und die Kugel aufliegt, ziehen wir sie von Land aus, in sicherer Deckung hinter den Dünen, langsam mit dem Spill unseres Lkw auf den Strand. Kapitänleutnant Garisch macht ein skeptisches Gesicht und zuckt mit den Schultern, als er sich unseren Fund ansieht; er kratzt hier und da etwas Bewuchs ab. Diese Art Mine ist auch ihm unbekannt. Er gibt dem Sprengmeister von den Pionieren den Befehl, die Sprengung vorzubereiten. Der anwesende Abschnittsbevollmächtigte der Volkspolizei trifft die Sicherheitsmaßnahmen und vertreibt alle Zeltplatzbewohner bis hinter die Straße. Dann kommt das Kommando zum Zünden. Ohne Rücksicht auf unsere angespannten Nerven frisst sich der Funken langsam durch die Zeitzündschnur. Ein spezieller Sprengsatz wartet darauf, seinerseits die Mine zur Detonation zu bringen. Wir liegen hinter den Dünen und haben die Kugel genau im Blick. Ein kurzer Knall! Die Mine macht einen gewaltigen Satz von etwa drei Metern -und bleibt dann seelenruhig liegen. Das verschlägt uns die Sprache, zweifelnd sehen wir uns an. Nach den entsprechenden Sicherheitsminuten aber können wir lachen: Nun, da der Sockel und der Bewuchs abgesprengt sind, erkennen wir eine von Drahtbändern umwickelte hohle Gummikugel -die gefährliche Mine entpuppt sich als Abwurfbehälter einer der Peenemünder V-2-Raketen, jener „Wunderwaffe“ des dritten Reiches, die vor 20 Jahren Tod und Verderben über England brachten. Der Dank der Fischer für ihre unbeschädigte Reuse war geräuchert... Bergungsdienst im Einsatz (02.09.1964) Wie bereits erwähnt, waren Einsatzbefehle mit der Aufgabe „Torpedosuche“ nichts Ungewöhnliches; schon gar nicht in einer Flottille, in der Torpedoschnellboote aller Typen dominierten. Manchmal fragten wir uns schon, warum so einige Aale ihren eigenen Weg am Grund suchten... Ungewöhnlich aber waren immer Aufgaben mit der Bezeichnung „Tauchersicherstellung Torpedoschießen“ - ungewöhnlich zum einen, dass wir auf einem der engen und lauten „Holzpantoffel“ mitfuhren, ungewöhnlich zum anderen, wenn wir auf einem Zielschiff die Aktion verfolgen konnten. So auch Anfang September, als wir am frühen Morgen von einem TS-Boot ins Schießgebiet Adlergrund gebracht wurden und dort auf den Torpedologger (Friedlicher Bürger) des Wissenschaftlich-Technischen-Zentrums der Volksmarine umstiegen. Als dann ein TS-Boot aus dem Nichts über die See raste, aus jedem Rohr ein Torpedo fauchte, das Boot abdrehte und die Blasenspuren auf uns zukamen, wurde uns irgendwie doch mulmig. Eine Spur zischte fast mittschiffs unter dem Logger durch, die andere achteraus vorbei. Hinter den Blasenspuren kam das TS-Boot wieder in Sicht, verfolgte seine Torpedos. Kurze Zeit später tauchte ein rot-weißer Kopf aus der See, zeigte mit einer weithin sichtbaren hellen Rauchfahne seinen Standort an. Von einem zweiten Torpedo allerdings war nichts zu erkennen... Der Logger drehte bei, fuhr in Schussrichtung bis in Höhe des aufgetauchten Torpedos. Ich hatte mich in Erwartung der Dinge schon angerödelt. Kaum war die Maschine auf Stopp, nahm ich Peilung und sprang über Bord. Wie immer in diesem Gebiet, umfing mich beim Abtauchen eine erst hellgrüne, dann immer dunkler werdende Stille. Den eintönig grauen Grund erkannte ich erst, als ich kurz darüber schwebte. Nach geringer Zeit hatten sich meine Augen dem relativen Dunkel angepasst, ich erkannte die typischen Riffel im Sand und die kleinen Häufchen der im Grund lebenden Würmer. Ich tauchte leicht auf, orientierte mich am Kompass und begann meine Suchstreifen in rund 20 Meter Tiefe. Mit Seitensicht hatte ich so gute zehn Meter Breite im Blick. Oben waren alle Maschinen aus, nur das Tuckern der Hilfsmaschine drang leise durch. Gut so! Denn völlige Stille, einfarbige Umgebung und Schwerelosigkeit zusammen führen selbst bei geübten Tauchern zu Beklemmungen... In meinem Tauchgerät AWM-1M hatte ich etwa noch 2000 Liter Luft zur Verfügung. Ich rechnete mir damit eine Tauchzeit über Grund von 30 Minuten aus, hatte dann beim Auftauchen noch ausreichend Luft für kurze Dekompressionsstopps auf sechs und drei Metern Tiefe. Ich beendete nach der geplanten halben Stunde meine Suche, fand das inzwischen abgesenkte Grundtau und stieg langsam auf. (Hier ist ein erklärender Einschub nötig, schon um Fragen zuvorzukommen: Selbstverständlich kannten auch wir beim Tauchen mit dem Druckluftgerät die Regel „Tauche nie allein!“. Bei unseren Einsätzen war der zweite Mann meist eine Signalleine, die von Bord oder Land geführt wurde. Doch auf See bei Tiefen von mehr als 20 Metern war das nur bei Arbeiten direkt unterm Schiff sinnvoll. Sobald man aber Strecken absuchen musste, erwies sich die Leine als effektive Schwimmbremse; man kam nicht mehr vom Fleck. Und ein zweiter Mann hätte ein Gerät leergeatmet, dass für einen weiteren Tauchgang nutzvoller eingesetzt werden konnte. Und so gingen wir Kompromisse ein: Der Taucher unterließ alles Gefährdende, und der Signalmann beobachtete ununterbrochen die aufsteigenden Luftblasen. Bei speziellen Arbeiten stiegen wir natürlich zu zweit ein oder arbeiteten im Helmtauchgerät, gesichert mit Schlauch und Leine!) Nach einer längeren Pause zum Aufwärmen, die Wassertemperatur betrug 15°C, ließ ich mich mit einem vollen Gerät am Grundtau wieder in die Tiefe und begann weitere Suchstreifen. Nach etwa 10 Minuten sah ich eine flache, sehr geradlinige Furche! Nachdem ich das Wasser aus meiner Maske geblasen hatte, das beim unwillkürlichen Grinsen eingedrungen war, folgte ich der Spur und stieß auf den im Sand liegenden Torpedo. Ich löste eine dünne Bojenleine vom Gürtel und schickte meine schöne rote Eigenbau-Boje zur Oberfläche; immer in der Hoffnung das sie gesehen wird. Es klappte, fünf kurze Zupfer fragten nach meinem Befinden, mit fünf Zupfern antwortete ich „Auf Grund alles wohl!“. Dann die verabredeten Kurz-Lang-Kurz, und wenig später baumelte neben mir ein großer Schäkel an einer Hebeleine. Im respektvollen Bogen umschwamm ich das propellerbewehrte Schwanzstück des Torpedos und schäkelte die Leine ins Heißauge - behutsam, immer die Geschichten von wieder anspringenden Motoren im Kopf. Legenden? Ich zog einmal kräftig an der Leine und schwamm etwas zur Seite. Die Leine bekam Zug, der Torpedo richtete sich auf dem Schwanzteil auf und machte sich auf den Weg nach oben. Ich begleitete ihn, und es war schon ein gutes Gefühl, vielleicht auch Stolz, neben dem Gerät aufzutauchen. Die Bergung beobachtete ich aus der Brückennock: Langsame Fahrt, dem aufschwimmenden Schwanzteil eine Schlinge überstreifen, waagerecht halten und um die Mitte den Bergegurt schlingen. Aus dem Wasser heben und in den Böcken ablegen... Man erklärte uns vor dem Umstieg auf unser bereitstehendes „TS-Boot-Wassertaxi“ zur Rückfahrt nach Sassnitz nur, dass es heute weniger um den Materialwert des Torpedos ging, als vielmehr um die nun mögliche Auswertung der in diesen zwei Torpedos verborgenen Sensoren und Messgeräte des Technischen Zentrums. Bergungsdienst im Einsatz (Zwischenbemerkungen) Mit der Torpedobergung für das WTZ sind meine (nach meiner Einschätzung) berichtenswerten Einsätze im Bergungsdienst der 6. Flottille „abgearbeitet“. Es waren für mich noch gut zwei Monate bis zur Rückführung ins zivile Leben. In der geschilderten Zeit von Mai 1963 bis September 1964 kam es aber auch zur Zusammenarbeit zwischen dem Bergungsdienst der 6. Flottille und zivilen Kräften der Region sowie mit Sassnitzer Bürgern - von einigen Einsätzen berichte ich noch, andere werde ich aus Pietät nur andeuten. In loser Folge und nicht im zeitlichen Ablauf der Geschehen hier nun einige Taucheinsätze, die bis auf Ausnahmen nicht im Taucherbuch vermerkt und auch nicht „bezahlt“ wurden - dennoch gehörten solche Erlebnisse ebenfalls zum Alltag im Bergungsdienst. Aal und anderes Im Sassnitz Mitte der 60er Jahre gab es die Fischerfamilie Radvan, ihre Mitglieder beherrschten den Fang, das Räuchern und den Verkauf (Ob diese „Dynastie“ heute noch besteht, habe ich nicht recherchiert.). An einem Sonnabend befahl mich der damalige Stützpunktkommandant von Sassnitz zu sich (der Leiter Bergungsdienst war bereits „im Wochenende“). In Gedanken alle Verfehlungen durchgehend, machte ich mich auf den kurzen Weg von unserem „Kabinett“ ins Stabsgebäude. Meine Sorgen waren grundlos, denn leutselig wurde ich gefragt, ob wir nicht am morgigen Sonntag mal einen zivilen Tauchgang machen könnten. Was für eine Frage! Also: Der Fischer Radvan bat um einen Einsatz der Taucher am Leitnetz seiner Reuse vor der Sassnitzer Küste. An diesem langen Netz sollen die Fische zum Reusensack entlanggeleitet werden. Ein straffgezogenes Tau am unteren Ende des Netzes soll sichern, das der Netzrand dicht auf dem Grund aufliegt. Beim Spannen dieser Leine nun hat Radvan bemerkt, dass mehr Leine in der See liegt als das Netz lang ist. Folgerichtig schloss er daraus, dass Steine und ähnliche Hindernisse die Netzkante hochhalten und Fische diese Lücken zur Flucht nutzen. Seine Bittschrift schloss mit dem einprägsamen und dem unvergessenen Satz: „Es wäre für mich und für die Volkswirtschaft von großem Nutzen!“ Der Einsatz selbst war ein schöner Sonntagsausflug - ein kleiner Kutter holte uns direkt von der LUMME ab, von ihm stiegen wir dicht unter Land an dem Leitnetz ins Wasser. Als wir am Netz entlangschwammen, mussten wir dem Fischer Recht geben: Die Unterkante lag auf großen und kleineren Steinen auf, ließ Fischen aller Größen ausreichend Platz, „ungeleitet“ ihren Kurs weiter zu schwimmen. Die Leine wurde etwas nachgelassen und wir rollten die Klamotten auf ganzer Länge aus der Linie. Ich weiß nicht mehr, wieviel Meter mehr Leine danach auf der Trommel lagen. Dieser Einsatz hatte Folgen: Der Weg in den Urlaub führte von nun an über den Fischladen der Radvans. Und auch, wenn der Smut nichts ordentliches auf die Back brachte, oder der Appetit überhandnahm, stieg einer von uns den steilen Pfad vom Hafen zur Stadt hoch und kam mit frischem Räucherfisch wieder an Bord. Was Wunder, dass sich das gegenseitige Geben und Nehmen auch im Folgejahr wiederholte... Friedfertige Hertha Im Stützpunkt Sassnitz gab es sehr gute Kontakte zur Schule. Was nicht verwundert, wohnten doch ziemlich viel Offiziere und andere Dienstgrade mit ihren Familien „oben“ in der Stadt, deren Kinder in der dortigen Schule unterrichtet wurden. Eines Tages wurden wir mit einer etwas ungewöhnlichen Bitte konfrontiert: Im Heimatkundeunterricht der Schule wurde über die in der Stubnitz gelegene Herthaburg und den Herthasee gesprochen. Auch über die Hertha-Sage, die da behauptet, dass die Göttin im See gebadet hatte, wobei ihre Helfer anschließend vom See verschlungen wurden. So erginge es von da an nun allen, die im See baden würden ... Nun war geplant, den Unterricht mit einer Klassenwanderung zum See zu krönen. Und um die Sage als solche zu entlarven, könnten doch die Taucher -... Und so kam es also, dass wir, mit Genehmigung der zuständigen Forstverwaltung, den Mädchen und Jungen ein Schautauchen im See auf der Stubnitzhöhe boten. Wir wurden nicht verschlungen! Inwieweit die Lehrer diesen Fakt nutzten, haben wir nicht erfahren. Das wir dabei zufällig relativ viel II.-WK-Schrott wie Stahlhelme und Gasmaskenbehälter entdeckten, war so ungewöhnlich nicht. Dass wir aber feststellten, dass der See einen „doppelten Boden“ hat, soll wohl später auch Heimatforscher interessiert haben... Tief in den Erinnerungen Blättere ich mein Taucherbuch für die Jahre 1963 und 1964 durch, meine Zeit beim Bergungsdienst der 6. Flottille, springt mir auf fast jeder zweiten Seite in der Rubrik „Welche Aufgaben wurden durchgeführt“ ein einzelnes Wort ins Auge, so prägnant und in seiner Bedeutung so klar, dass es in dem Moment, wo ich das dazugehörende Datum und den Ort lese, alles wieder deutlich vor Augen steht - Leichenbergung. Eine Aufgabe, die uns aus unerfindlichen Gründen auf ganz Rügen oblag. Mag sein, dass in den frühen 60ern Feuerwehr- oder Polizeitaucher noch nicht einsatzbereit waren. Mag sein, dass unser Einsatz am schnellsten realisierbar war. Ich weiß es nicht. Was ich noch genau weiß: Es war jedes Mal ein beschi... Gefühl, wenn der alte Dienstwagen der Volkspolizei bei uns am Liegeplatz 17 stand; meist am frühen Morgen. Dann wussten wir, was uns erwartet. Nicht vergessen sind die dann stillen Fahrten zum Marienhafen Sagard oder zu einem der vollgelaufenen Kreidebrüche oder zu einem anderen der kleinen Seen auf der Insel. Unvergessen auch die kurzen Bootsfahrten mit dem Hafenschlepper quer durchs Sassnitzer Hafenbecken zur Mole. Immer in der Gewissheit, dass bereits einige Schweden¬Fähren ein- und ausgelaufen sind, dabei immense Wassermengen durch die Öffnungen im Molendamm hin und her gespült haben... Und noch immer deutlich in der Erinnerung der Einsatz an einem Staatsfeiertag direkt bei uns im Hafen Sassnitz, unter einem Päckchen über die Toppen geflaggter Schnellboote... Nicht oft haben wir Hintergründe oder Ursachen erfahren; gut für unseren seelischen Zustand. Doch so manches Mal erzählte die vorgefundene Situation ihre Geschichte. Und denke ich daran, wie ich einen kleinen Körper, der gerade mal vier Jahre alt geworden ist, unter Wasser auf die Arme genommen habe und damit langsam an die Oberfläche auftauchte, schäme ich mich meiner Tränen auch heute noch nicht. Nach meiner Dienstzeit traf ich die alten Freunde wieder (der Kontakt war nie völlig abgerissen), die mich gern in ihren Tauchersektionen gesehen hätten - doch ich hatte nicht mehr die rechte Lust am Tauchen. Denn nachdem ich die letzten Jahre erfahren habe, dass Tauchen kein Selbstzweck sein muss, sondern Mittel zum Zweck, fehlte mir nun der Zweck. Doch so langsam kam sie dann wieder, die Lust am Tauchen, und es war beileibe nicht die „Fischelbeguckerei“, die diesen Umstand begünstigte... Es waren Geschehnisse, die ich als Redakteur der Taucherzeitschrift „poseidon“ erleben konnte. Dazu gehörten auch wieder Arbeitseinsätze beispielsweise in Talsperren oder auch bleibende Erlebnisse wie mein Tauchgang über mehr als fünf Stunden in der UW-Station MALTER-I... Und als es dann möglich war, in südlichen Meeren an Korallenriffen zu tauchen, gefiel mir auf einmal auch die „Fischelbeguckerei“. Das alles aber steht in zwei anderen Taucherbüchern mit anderen Qualifikations-Nachweisen.