Mein Taucherbuch (Teil 1) Von Lutz Strobel Alles begann im Sommer zwischen dem letzten Schultag und dem ersten Tag meiner Schlosserlehre. Es begann im Berliner Friesen-Schwimmstadion, nach dem Schwimmtraining, als ich neugierig das Treiben im Sprungbecken beobachtete. Es begann mit der Frage von Fritz Reusrath, ob ich es nicht auch mal mit Flossen und Maske versuchen möchte. Damit begann für mich das Tauchen. Und es sollte einen Großteil meines Lebens ausmachen... Zuerst aber hieß es Ausbildung und Prüfungen: Rettungsschwimmen und Grundlagen der Seemannschaft, die Taucher-A mit Flossen, Maske und Schnorchel, die Taucher-B etwas später mit Tauchergeräten. Fast täglich war ich nach der Lehre oder Berufsschule entweder im „Klub“ Klosterstraße (Haus der jungen Talente) zu finden, oder in einer der Berliner Schwimmhallen beim Training mit Fritzes „Exerzitien“ (nicht als geistliche Übungen zu verstehen, sondern als kräftezehrende Unterwasserübungen...). Mit Fritzes Truppe wurde gelernt, gebaut und getaucht, an Wochenenden in den Seen der näheren und weiteren Umgebung, im Urlaub mit Lagern am Ton-, Parsteiner- oder Stechlinsee. Kleine Forschungsarbeiten (Suche der Dreikantmuschel) oder Techniktests (Sprechverbindung und Eigenbau-Mistralregler) sowie größere Unternehmungen wie Höhlentauchen in der Heimkehle bei Uftrungen machten unser Tauchen spannend. Im August 1957 zeigten wir im Strelasund bei Vorführungen dem Chef der Seestreitkräfte unser Können, nicht wissend, dass bald eine Spezialtauchergruppe gegründet wurde, das spätere Kampfschwimmerkommando. Aus meiner Sicht gab es nur eine Möglichkeit, das Tauchen auf einer anderen Ebene als dem Sport auszuüben - bei den Seestreitkräften. So folgte logisch nach Grundausbildung und Maatenschule die Versetzung zum Kampfschwimmerkommando. Ohne Frage half mir hier die strenge Ausbildung bei Reusrath, egal ob sportlich, technisch oder taucherisch. Der Umgang mit Kreislaufgeräten (Medi-NIXE und ISAM-48) und Druckluftgeräten (Marke Eigenbau) waren schon in der Ausbildungszeit Routine. 1961 wurde eine Technische Aufnahmegruppe gebildet, ich wurde versetzt, konnte aber vor meinem Dienstantritt in Kühlungsborn noch meine Taucherprüfung für Marinetaucher ablegen... Die Technische Aufnahmegruppe der Volksmarine Die TAG, das waren ein Oberleutnant als Chef, ein Meister und ein Maat als tauchende Kameraleute, ein Maat und ein Stabsmatrose, beide gelernte Fernsehfritzen, als Techniker. Unsere Technik: Neben gut sortierter Taucherausrüstung bestand sie vor allem aus diversen Unterwasser-Fotokameras (von einer Rollei-Marin bis zur Eigenbau-EXA), einer französischen Unterwasser-Filmkamera-Aquaflex (35 mm) sowie einer kompletten britischen UW-Fernsehanlage von PEY mit Handkamera (bis 30 m) und Tiefseekamera (bis 90 m). Dazu kamen noch ein Fotolabor mit allem Nötigen sowie eine kleine, aber feine mobile Mechanikerwerkstatt. Unsere Aufgaben: Erstellen von Ausbildungsunterlagen, Unterwasser-Dokumentationen von Grundberührungen und anderen Havarien, Zustandsnachweise von Technischen Anlagen unter Wasser und Hafenbauten sowie TV-Direktübertragungen für Spezialisten an Land. Hin und wieder arbeiteten wir auch mit zivilen Institutionen zusammen, drehten beispielsweise Unterwasserfilmabschnitte für das Armeefilmstudio und die DEFA, hier vor allem für das Dokumentarfilmstudio. 16.07.1962 Tollensesee: Neugier Während einer längeren Dienstreise 1961 waren wir mit unserer Tauch- und Ka-meraausrüstung auf der Rückfahrt in den Norden, als uns die Idee kam, dem Tollenssee einen Besuch abzustatten. Immerhin wurde hier das Taucherschiff LUMME geborgen. Ziel war natürlich, die damals noch etwas mehr aus dem Wasser ragenden Überreste der alten Torpedoversuchsanstalt (TVA) zu erkunden. Denn nur selten treffen Historie und Wirklichkeit so nah aneinander wie hier: Im Herbst des Jahres 1941 begann man im See mit der Errichtung einer künstlichen Insel in Spundbauweise, die mit einem Damm und einer Brücke mit den gleichzeitig errichteten Anlagen am Ufer verbunden wurde. Auf dieser Insel wurde dann 1942 das Kernstück der Anlage, die mehrstöckige Kommandozentrale, erbaut. In dieser befanden sich die Abschussvorrichtungen für die Torpedos, sowohl für den Unterwasserabschuss, als auch für Überwasserschüsse. Nach den Sprengversuchen der Roten Armee wurde die Insel der Natur überlassen - ein Objekt für neugierige Taucher. Ohne Anzug und nur mit dem kleinen MEDI-713-Gerät stiegen wir ins Wasser. Und sogleich fanden wir uns im diffusen Grün des Sees zwischen verbogenem Stahl, zerbrochenem Holz und einem Gewirr aus Rohren und Kabeln. Ein paar Fotos später verließen wir die ungastliche Stätte; Torpedos oder auch nur Reste davon fanden wir nicht - es war ja nur ein Besuch... 03.10.1962 Reede Kühlungsborn: Wracksuche Die Fischer aus Rerik baten uns, mal dicht unter Land vor ihrem Reusen-Stellplatz nachzusehen. Sie waren der Meinung, dort liege ein "alter Kahn", jedenfalls ein sperriges Hindernis. So fuhren wir an einem sonnigen Sonntag gleich durch das hintere Tor des Kühlungsborner Stützpunktes hinaus zum menschenleeren Strand vor Rerik. Wir entdeckten die Reusenpfähle und rödelten uns an. Es sollte nicht tief sein, und so ließen wir unsere Geräte vorerst am Strand und schnorchelten in die See. Nach gut 100 Metern erreichten wir die erste Sandbank. Die Sicht war schlecht, daran war die starke Strömung schuld. Planmäßig suchten wir das beschriebene Gebiet ab. Nach einer halben Stunde - nichts. Zwei Fischerboote glitten langsam auf uns zu. Ich schwamm einem Boot in den Kurs und frage den Skipper, wo das Wrack liege. Er zeigte weiter hinaus auf See. Na, denn man los! Nach einer Stunde wurde es Gerd in seinem Nassanzug zu kalt und er schwamm an Land. Ich folgte ihm zehn Minuten später. Nur Günter suchte unermüdlich weiter. Missmutig und mit dem Gefühl eines Betrogenen zog ich mir die Flossen von den Füßen. Ein Ruf riss mich aus meinen Gedanken. Günter winkte aufgeregt. Die Strecke vom Strand zu Günter legten Gerd und ich im Rekordtempo zurück. Günter lachte. Will er uns reinlegen? Der erste Blick nach unten belehrte uns eines Besseren. Da lag doch tatsächlich ... ja, was war es nur? Ein paar schnelle Flossenschläge trieben mich dem Grund zu. Ein rechteckiger Rahmen hatte Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Er lag zur Hälfte im Sand eingespült und war größtenteils mit Sand bedeckt. Ob er zum Wrack gehört? Daneben lag noch ein Block mit einem Stück ausgefranster Leine. Was war denn das hier? Gerd winkte mir zu, ich schwamm zu ihm und schaute auf den Grund - das Wrack (später: Vermutlich ein schwedischer Torffrachter, gesunken etwa um 1900). Die Bojenleine vom Gürtel nehmen, abtauchen und das Ende der Leine mit einem Webleinstek um einen Spant schlingen, war Sekundensache. Über Wasser zeigte nun eine kleine rot-weiße Boje die Lage des langgesuchten Wracks - eines richtigen Wracks. Nachmittag, die Sonne ist noch höher gestiegen und gibt uns mehr Licht. Wir gingen nun mit unseren Tauchgeräten ins Wasser. Bei dieser Sicht mussten wir aufpassen, dass wir uns nicht aus den Augen verlieren. Der Weg führte über Steine, Torfbänke und Sandflächen. Wir verließen uns ganz auf Gerds unfehlbaren Orientierungssinn, der ihn auch diesmal nicht im Stich ließ. Langsam umtauchten wir das Wrack. Es bestand aus dem ungefähr 12-Meter-langen Kiel mit allen Spanten, fast sah es aus wie eine riesige Fischgräte. Achtern waren noch vereinzelt Planken zu erkennen, die mit finger-dicken Kupfernägeln an den Spanten befestigt waren. Leider trat die Kamera wegen der schlechten Sicht nicht in Aktion. Wir waren aber Optimisten und rechneten an späteren Tagen mit besserer Sicht. Mag wohl des Öfteren bessere Sicht gewesen sein, wir aber waren zum Bergungsdienst der 6. Flottille "befördert" und nach Sassnitz verlegt worden; keine Chance mehr, "unserem" Wrack einen weiteren Besuch abzustatten. 20./27.02.1963 Eistauchen Im tiefsten Winter, irgendwo nördlich an der Küste. Ein armdickes, ölgefülltes Kabel führt weit im Sand verborgen vom Strand in die See, verläuft dann nach einigen hundert Metern auf dem Ostseegrund weiter bis zu einem weit draußen stationierten Horchgerät. Wir wissen weder, wo die Bediener der „Seekuh“ sitzen, noch wo genau das Gerät steht. Was wir wissen: Das Kabel scheuert in der Dünung an Steinen, nur wenig zwar, aber irgendwie wurde das registriert, die Stellen ziemlich genau angegeben. Wir nun sollen das Kabel finden, kontrollieren und eventuelle Scheuerstellen fotografieren... Wenn ich an den Marsch denke, wird mir noch immer schlecht - mit Nassanzug, Druckluftgerät, Gewichtsgürtel, Kamera und anderen Geräten über endlose Meter verschneiten Eises! Als wir die angegebene Stelle erreichen, wollen wir unseren Augen nicht trauen. Dort, wo eigentlich offenes Wasser sein sollte, treibt Eisbrei. Herbert meint, es wäre nur an der Oberfläche. Gerd zieht ein pessimistisches Gesicht. Es ist nicht zu ändern. Die anderen legen mir die Signalleine um die Hüfte, und langsam gleite ich über die Eiskante in den zähen Brei; bis zum Halse stecke ich in dem Teig, meine Füße finden keinen Widerstand. Gemeinsam ziehen sie mich wieder raus. Ich lege den Bleigürtel um. Gerd hilft mir in die Gerätegurte. Auf das Ausspülen der Maske muss ich verzichten: Mir fehlt das Wasser. Zuletzt überprüfe ich Lampe, Messer und Leine. Nun beginnt der Abstieg. Der Eisbrei will mir den Weg versperren, aber ich kann mich an dem festen Eis hinabziehen. Nun erreicht der Brei die Oberfläche des Maskenglases. Der Anblick dieser Masse ist so ungewohnt, daß ich kurz die Augen schließe. Langsam drücke ich mich tiefer. Jetzt kann ich die Beine frei bewegen. Tiefer! Vor meiner Maske flimmert es, und plötzlich habe ich freies Wasser. Vor mir die Eiswand, unter mir Grund und über mir Brei. Die Sicht ist einmalig! Nun wird es vor mir dunkel. Ich habe die Eisunterkante erreicht und schwebe unterhalb der Eisdecke. Der Strahl meiner Lampe geistert an der zerklüfteten Unterseite entlang, verliert sich im endlosen Dunkel des Wassers. Wenn ich die Lampe lösche, bemerke ich in dem Eis ein schwaches Leuchten. Die Eiskante ist von senkrechten dünnen Eisplatten zerschnitten - wie in einer Tropfsteinhöhle. Ich tauche zum Grund und suche nach dem Kabel, doch das Licht reicht nicht, um weit nach den Seiten zu schauen, zudem ist die Situ-ation nicht dazu angetan, weiter unter das geschlossene Eis zu tauchen. Wieder an der Wand angelangt, ziehe ich einmal kurz an meiner Signalleine - Auftauchen. Gerd und Herbert ziehen mich hoch. Von weiteren Einstiegen sehen wir ab. Auf dem Rückmarsch erzählt mir Gerd, wie ihnen zu Mute war: Eine Eiskante, über die eine Leine führt, die sich im Eisbrei verlor. Keine Luftblasen zu sehen, die Oberfläche unbewegt. Zuerst wollten sie mich gleich wieder heraushieven, vertrauten dann aber unseren verabredeten Zeichen. Eine Woche darauf wieder der gleiche Weg. Der Matsch war inzwischen zur festen Eisdecke gefroren, konnte aber Axt und Säge nicht widerstehen. Wir bereiteten uns bei fast frühlingshaftem Sonnenschein ein großes Eisloch und stiegen im Wechsel in die etwas unter Null warme Ostsee ein. Wir fanden das Kabel und fotografierten einige Scheuerstellen. Der Zufall wollte, dass wir viele Monate später als Bergungsdienst-Taucher in tagelanger Arbeit, meist mit Helmtauchgerät, den Schutz des Kabels mit Schellen im gefährdeten Dünungsbereich weitergeführt haben - mit Halbschalen aus Stahlguss, eine Schale unten, eine drüber, verbolzen. Die nächste Schale mit ihrer größeren Halbkugel über die kleine Kugel der vorherigen Schelle, Oberschale drauf, verbolzen - mit etwa halbmeterlangen Schalen eine schier endlose Strecke. Die Kugelgelenke ließen dem Kabel in der Dünung einen geringen Bewegungsspielraum, die Schalen selbst verhinderten weiteres Abreiben der Isolierung zwischen den Steinen... Im Bergungsdienst der 6. Flottille der Volksmarine Am 1. Mai 1963 galt die 6. Flottille der Volksmarine als gegründet, noch überall verteilt, von Sassnitz über Gager, Parow, Ribnitz und weiter bis Peenemünde-Nord. Irgendwie aber hatte man wohl vergessen, dass zu einer Flottille auch ein Bergungsdienst gehört - uns kam es jedenfalls so vor, als wir in der ersten Maiwoche 1963 innerhalb weniger Tage von Kühlungsborn mit unserer gesamten Technik nach Sassnitz verlegt wurden und von Stund‘ an nicht mehr die direkt dem Kommando unterstellte TAG sondern der Bergungsdienst der 6. Flottille waren, einer Flottille mit mehr als 100 Einheiten (sagte man uns...). Unsere alten Aufgaben als Unterwasser-Foto-, Film- und Fernsehstudio sollten wir parallel erledigen... Die Tauchertechnik lagerte vorerst auf „unserem“ Taucherboot K-61 LUMME, wo bereits weitere Ausrüstung wie neue Helmtauchgeräte usw. bereit lagen. Unser Sassnitzer Alltag begann mit Einräumen, Umräumen, Aufräumen und Kennenlernen. Und gleich zu Anfang wurde uns klar, wofür wir so viele Lkw und P2-M hatten: Überall in den Häfen auf Rügen, auf dem Festland und auf Usedom lagen Schiffe und Boote der 6. Fl., die Taucher für alle erdenklichen Arbeiten anfordern konnten. Zum anderen stand in Sassnitz kein geeigneter Kompressor zum Füllen unserer Tauchgeräte; als Notbehelf standen in einem Raum der Torpedo-Regelstelle mehrere 40-Liter-Stahlflaschen, aus denen wir Luft überströmen lassen konnten. Ich habe nie verstanden, warum die Torpedo-Regelstelle mit ihren leistungsfähigen Verdichtern nicht, natürlich über eine Filterstrecke, unsere Geräte füllen durfte... So kutschierten wir ziemlich oft mit einer Ladung leergeatmeter Druckluftgeräte und 40-Liter-Flaschen nach Warnemünde-Markrafenheide und füllten dort beim BD der 4. Flottille unsere Geräte. Überraschung war dann die LUMME für uns. Die LUMME (Taucherboot K-61) hatte ab Mai 1963 ihren „Stammplatz“ am Liegeplatz 17 im Sassnitzer Hafen; die Stelling führte immer geradezu auf einen Hydranten - bei gutem Wetter unser Bad und Waschplatz. Uns drei Tauchern gelang es, im Zuge „schnellerer Gefechtsbereitschaft“, die Drei-Mann-Kammer im Vorschiff zu entern, gleich hinter dem Kettenkasten. So konnte sich die LUMME wirklich Taucherboot nennen und wir konnten der tristen Unterkunft in der Kaserne Dwasieden „entsagen“... Zwischendurch: Wir haben durch den steilen und schmalen Niedergang hinter dem Steuerbord-Schapp zu unserer Kammer durch blaue Flecken und anderes schnell begriffen, warum es Bordzulage gab... Schnell fügten wir uns ins recht unkomplizierte Bordleben ein, konnten nach kurzer Zeit die Besatzung zeitweise entlasten: Wir gingen Ruder, bei See eine kräftezehrende Angelegenheit durch die Direktverbindung Ruder-Kettenzug-Quadrant. Wir fuhren den 300-PS-Buckau-Wolf; lernten hier, dass die Maschine bei „Molotow-Molotow-Molotow“ nicht gut lief, denn es musste so gehen: „Kartoffel-Kartoffel-Kartoffel“. Wir halfen dem Koch; was sich meist aufs Kartoffelschälen oder Herdanheizen beschränkte. Im großen Laderaum bauten wir Regale für die Fernsehtechnik ein und bestückten die Taucherlast mit unseren sowjetischen Druckluft-Tauchergeräten AWM-1M und Ukraina. Wir hatten die für die damalige Zeit recht ungewöhnliche Vorstellung, alle anfallenden Aufgaben mit leichter Taucherei zu lösen. Nun gut, es stellte sich bald heraus, dass bestimmte Arbeiten besser mit dem Helmtauchgerät zu machen waren... An Sicherheitstechnik stand neben dem obligatorischen Sauerstoffbeatmer eine transportable DRÄGER-Teleskop-Druckkammer im Laderaum - wir haben den Umgang damit geübt, sie aber bis Herbst 1964 nur einmal benutzt; und das auch nur vorsichtshalber. Auch an Bord war unser Problem die Atemluft, denn selbst für die Helmtauchgeräte stellten wir einen mobilen, benzinmotorgetriebenen Kleinkompressor mit Schalttafel auf das Taucherdeck, als Ersatz stand die Handhebelpumpe daneben. Waren zwei Taucher zugleich im Wasser und etwas tiefer, hatte der Jockel Schwierigkeiten. Im Winter blieb der Kompressor im etwas wärmeren Laderaum, damit die Luft nicht zu kalt in den Helm strömte; die Abgase leiteten wir über ein Rohrsystem ins Freie. Als dieses Rohr einmal unbemerkt in den Laderaum fiel, mussten wir den Taucher bergen - er hat aber den Gestank im Helm noch melden können... Ja, erst nach gut einem Jahr des Behelfs gelang es uns, in einem Vorraum der Regelstelle einen dreistufigen stationären Kompressor vom Typ 3S2-75b in Eigenregie zu installieren; mit den 40-l-Stahlflaschen als Pufferbatterie und einem leistungsfähigen Filter mit Wasser- und Ölabscheider. Alles selbst verrohrt, hart verlötet und verschraubt! Die Anlage wurde vom TEÜ abgenommen, und ab 24.06.1964 füllten wir unsere Geräte damit. Dazu musste ich mich allerdings für eine Bedienberechtigung prüfen lassen (als einziger Metaller in der Truppe). Natürlich blieben dann auch Pflege und Wartung an mir hängen... Die Eingewöhnungszeit vom Umzug nach Sassnitz bis zum ersten Einsatz war kurz, am 13.05.1963 begann für uns Taucher die reale Arbeit im BD der 6. Flottille. Bergungsdienst im Einsatz (13.05.1963): Nichthavarie und Panzerbergung Es begann wie ein normaler Wochenanfang. Bis unser erster Einsatzbefehl eintraf: Bei einem TS-Boot hat es beim Einlaufen in den Hafen Sassnitz achtern „gerumpelt“. Da wir an dem Tag nur zu zweit waren, entschieden Dienstgrad und Erfahrung, wer einsteigen musste. Nun waren mir solche Untersuchungen nicht ganz fremd, gespannt war ich trotzdem. Als erstes erwartete mich eine Überraschung - die Sichtweite im Hafen betrug fast zwei Meter und der Hafengrund war durchgehend weiß (erst an Bord wurde mir bewusst, das die Rügener Kreide die Ursache war...). Auch hatte ich bisher noch kein TS-Boot von achtern zu Gesicht bekommen und staunte nicht schlecht über Propeller und Ruder. Die Untersuchung zeigte keine Auffälligkeiten. Ich schilderte dies dem Leitenden Ingenieur des Bootes. „Gut!“ war seine lakonische Bemerkung, ehe er mich stehen ließ (Erst einige Bootsuntersuchungen später habe ich gewusst, mit welcher Spannung Kommandanten und Leitende Ingenieure auf unsere Berichte warteten, wenn ihr Auslaufen gefährdet war...). Nach dem Mittag standen ein Lkw an der Pier, ein Offizier der Landstreitkräfte und der Stützpunktkommandant: Einsatz in Mukran! Was? Alle beide, nehmt genug Geräte mit! Mit vier „Ukraina“-Tauchgeräten, weiterer Ausrüstung wie Lampen und so weiter und bereits fertig angerödelt wurden wir nach Mukran gefahren. Ein ungewöhnliches Bild - Landungsboote nebeneinander, Landeklappen offen, Panzer und Mot.-Schützen am Strand. Ein Hauptmann stellte sich als Technischer Offizier vor und erklärte uns was los ist, was man von uns erwartete: Nach der Probelandung am Morgen war bei der scharfen Landung am Mittag ein Panzer T-34/85 von der Landeklappe gefahren und in der See verschwunden. Ein Panzer war weg! Bevor das Labo vorsichtig abgelaufen ist, hat ein mitdenkender Seemann eine Boje am Tampen an ein Panzerkettenglied geschlagen und dem Panzer hinterhergeworfen... Die Panzerbesatzung und die auf dem Panzer bei der Landung aufgesessenen Mot.-Schützen standen in ihren klatschnassen Kampfanzügen vor uns und zählten auf, was für Waffen sie beim Schwimmen weggeworfen hatten - sprich: Was wir zuallererst suchen und bergen sollten. Wir begannen von Land aus Richtung Boje und fanden wie auf einem Weg Maschinenpistolen und eine Makarow. Dann sahen wir den Panzer. Wuchtig stand er auf seinen Ketten, die Turmluke offen, etwa einen Meter Wasser vom Turm bis zur Meeresoberfläche. Wir hatten wohl beide den gleichen Gedanken, als Volker auf die offene Luke zeigte: Glücklicherweise stand die Besatzung vollzählig am Strand, wir mussten da also nicht rein... Wir sammelten noch eine neben der Kette liegende Panzerbüchse ein und schwammen an Land. Nach kurzem Durchzählen unserer Funde schnarrte uns ein Oberst an, dass wir gefälligst noch das fehlende LMG rausholen sollten. Also suchten wir neben und im weiteren Umkreis des Panzers, fanden die Waffe aber nicht. Mit leeren Händen tauchten wir auf und antworteten auf die Frage nach dem LMG nur mit Schulterzucken... Wir wechselten unsere Tauchgeräte, leer gegen voll. Auf dem Strand stand ein Bergepanzer bereit, schwere Stahltrossen lagen im Sand, deren Enden mit großen Kauschen in einem Schwimmpanzer. Diese Kauschen nun sollten wir über die beiden Schlepphaken des T-34 hängen. Der Schwimmpanzer zog die Trossen bis an die Boje, die Besatzung ließ die Enden runter. Wir brauchten alle Kraft und zwei Brechstangen, um die Augen über die Haken zu hebeln. Im gebührenden Abstand schauten wir nun draußen zu, wie der Bergepanzer langsam anfuhr - nur um sich bis über die Ketten in den Sand zu wühlen, als Zug auf die Trossen kam. Den ratlosen Blick des Technischen Offiziers beantwortete der nasse Fahrer des T-34 mit dem kleinlauten Hinweis, dass der erste Gang eingelegt war, als er den versinkenden Stahlkoloss hektisch verließ... Der erste Gang also blockierte den Leerlauf, das Wasser im Motor blockierte die Kolben, die Ketten hielten den T-34 fest auf Grund -auch drei Bergepanzer hätten ihn nicht an Land schleifen können. Alle Blicke lagen auf uns, und der TO erklärte: „Einer taucht in den Turm, hält sich links, klappt die Lehne vom Kanoniersplatz runter, setzt sich in den Fahrersitz und hält die beiden Steuerhebel auf Leerlauf, also auf Mitte; wir ziehen dann raus.“ Unser einhelliges Nein! fand sogar Verständnis. Aber der Panzer musste raus! Und so bin ich mit meiner Handlampe und neuen Instruktionen dem beschriebenen Weg gefolgt: Kopfüber in den Turm, in totaler Finsternis tastend den Kanonierssitz finden und die Lehne nach vorn klappen, darüber hinweg in den Fahrersitz. Da saß ich nun im schwachen Schein meiner Lampe und fummelte am Schalthebel herum - nichts war mit „Gang rausdrücken“. Ich fand den bereitliegenden Hammer und donnerte ihn gegen den Hebel - er federte nur die Schläge ab. Ich ertastete den ebenfalls bereitliegenden Maulschlüssel, löste die Bolzen von der Schaltmatrize und hob diese ab - der Schalthebel blieb stur im 1. Gang. Zuviel Last lag durch den vorangegangenen Schleppversuch auf den Getrieberädern. Also wieder raus aus dem Panzer. Plötzlich ein Hindernis auf dem Rückweg, kein rechts oder links vorbei, kein oben drüber. Adrenalin und Pulsschlag stiegen. Ruhe bewahren! Klar, die Lehne war wieder hochgeklappt als ich Fahrer spielte... Nun war es an uns, einen praktikablen Vorschlag zu machen, einen typisch seemännischen, der zwar skeptisch begutachtet aber schlussendlich akzeptiert wurde: Ich wieder rein in den Turm auf nun bekanntem Weg, Platznehmen im Fahrersitz. Mit Webleinstek und zwei halben Schlägen je eine Leine an die Kupplungs- oder Fahrhebel geschlagen, die Leinen aus dem Turm geführt. Dann saß ich auf dem Turmsüll, gab Volker, der über mir alles überwachte, das verabredete Zeichen. Ich zog an den Leinen - und ab ging die Fahrt mit einem Panzer auf dem Grund der Ostsee... Als ich mit dem Kopf durch die Wasseroberfläche brach, fing die Reserve meines Tauchgerätes an zu pfeifen; im richtigen Moment erst war die Luft alle. Am Strand Schulterklopfen und dann wieder der befehlsgewohnte Oberst: „Das LMG wird noch gefunden!“ Die Wassertemperatur betrug 5°C, wir waren fast drei Stunden im Wasser und die Geräte waren leer - für uns war der Tag beendet. Nicht aber die Sache mit dem LMG... Schon am nächsten Tag mussten wir wieder in das 5°C-warme Wasser und fanden … wieder nichts. In den folgenden Wochen dachten wir nicht mehr an das LMG, lernten die Vielfalt der Aufgaben eines Bergungsdienstes kennen. Im Taucherbuch stehen unter anderem Minenbergung in der Tromper Wieck, Schiffsbodenuntersuchungen, Sucharbeiten im Hafen Sassnitz. Bergungsdienst im Einsatz (19. -22.06.1963) LMG gefunden! Am 19. Juni dann mussten wir wieder nach Mukran, als Aufgabe stand Landungssicherstellung im Einsatzbefehl. Um es vorweg zu nehmen: Es waren sehr schöne Tage für uns. In den Dünen stand ein großes grünes Zelt unter den Bäumen, komplett mit drei Betten, Regalen, großem Tisch und Stühlen. Versorgt wurden wir von zentraler Stelle (dort hat man gelesen, dass wir einen Taucher-Verpflegungssatz haben, dem entsprachen auch die täglichen Verpflegungskisten. Überlesen hatte man, dass uns der erhöhte Verpflegungssatz erst dann zustand, wenn wir am Tag zwei Stunden getaucht haben...). Auf See und am Strand übten die Labos und die Mot.-Schützen einer Landungseinheit mit ihren Fahrzeugen alles Mögliche für eine Landung. Wir sahen zu, voll angezogen und die Geräte neben uns, bereit für einen Einsatz. Man brauchte uns aber nicht, alles lief problemlos. Wir wiederum nutzten längere Pausen der Übung zur Suche nach dem vermaledeiten LMG; die Boje hatte noch keiner gezogen. Gefunden haben wir in den Tagen auch nichts, aber unser Gewissen beruhigt. Wir nutzten die müßigen Stunden auch für Techniktests, schließlich musste der Eigenbau-Blitz an der EXA seine Tauglichkeit in praktischer Unterwasser-Fotografie beweisen. Und um den Landegruppen zu zeigen, in welch geübten Händen ihre Sicherheit lag, führten wir einige passende Übungen vor. Unser „Tauchercamping“ war nach vier Tagen beendet -schade. Um es auf den Punkt zu bringen: Das LMG beschäftigte uns noch zwei Monate! Denn es gab inzwischen einen Ministerbefehl, das diese Waffe gefunden werden muss. Und so fuhren wir zwischen unseren anderen Aufgaben immer wieder nach Mukran. Der Befehl des MInisters galt auch für die beteiligten Einheiten der Landstreitkräfte. Und so tauchten wir dann mit Helmtauchgeräten von einem schwimmenden Panzerwagen, auf dem unser Kompressor und eine Feuerlöschpumpe standen. Denn Wissenschaftler aus dem Kommando der Volksmarine haben uns über die Strömung und den Sandtransport an dieser Stelle informiert, einiges an Sand musste inzwischen das LMG begraben haben. Also spülten wir uns mit einer Lanze am C-Schlauch durch den Sandgrund rings um die Boje, die wundersamerweise noch immer die Stelle markierte. Wir betrachteten diese Stunden mehr als Alibi. Bis eines Tages Obermeister Felz auf den Gedanken kam, sich mal an der Bojenleine herunterzuspülen, um festzustellen, wieviel Sand inzwischen wirklich auf dem Anker/Kettenglied liegt. Nach gut einem Meter traf er mit seinem Stahlschuh auf das Kettenglied. Er spülte seinen Arm an der Leine bis an den Knoten runter -und hatte das LMG in der Hand. Es lag genau unter dem Kettenglied, das der Seemann vom Labo mit einer Boje dem Panzer hinterher geworfen hatte... Ministerbefehl ausgeführt! Bergungsdienst im Einsatz (23.06.1963): Schiffsboden-Untersuchung Gerade von unserem Camping in den Mukraner Dünen zurück, packten wir am nächsten Mittag wieder Geräte auf unseren Lkw und kutschierten über die Insel nach Parow: Ein Reedeschlepper war beim Auslaufen dem Molenkopf etwas nahegekommen, und der Kommandant wollte sicher sein, dass er gefahrlos weiterfahren konnte. Das Schiff wartete auf Reede nahe der Ansteuerung. Wir verluden unsere Plünnen auf einen bereitstehenden kleinen Hafenschlepper, setzten über und gingen an Bord. Ich zog meinen Anzug an, Obermeister Felz prüfte das Druckluft-Tauchergerät, bevor er es mir auf den Rücken hievte. Auf der Leiter noch hörte ich vom Hafen her Maschinen anlaufen, sah Dieselqualm aufsteigen. Ich tauchte ab und begann Backbord mit der Untersuchung. Gerade wollte ich nach Steuerbord wechseln, da hörte ich das helle Singen von Schnellläuferschrauben, dazwischen die verabredeten Klopfzeichen zum Auftauchen. Wieder auf der Leiter, sah ich einige TS-Boote aus der Hafeneinfahrt kommen. Ich wartete an der Leiter das Auslaufen der TS-Boote ab. Der LI nutzt die Gelegenheit und ließ sich den Zustand des Bb-Unterwasserschiffes schildern: Der A-und B-Gang zeigten keine Spuren, nur am Bug befand sich eine etwa faustgroße Einwölbung mit einer Tiefe von knapp zwei Zentimetern, die Farbabschürfung musste noch frisch sein, da sich kein Bewuchs angesetzt hatte. Die TS-Boote liefen mit aufschäumender Heckwelle an uns vorbei. Ich verließ die Leiter, atmete aus, tauchte ab. Hier unten hörte ich nur noch das Singen der schnelllaufenden Schrauben, aber nicht mehr so aufdringlich hoch wie vorhin. Kurze Flossenschläge treiben mich unter dem Kiel hindurch zur Steuerbordseite. Am Schlingerkiel hielt ich mich fest, wartete, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann schwamm ich mit gleichmäßigen Flossenbewegungen Bahn für Bahn ab, kontrolliere den Schiffsboden auf Deformierungen, Bewuchs und Farbabschürfungen. Vorsichtig fuhr ich mit den Händen über das Blech der Gänge und über die Stöße. Am Sieb des Seekastens blieb ich in der Schwebe, prüfte den Sitz der Schrauben und kratzte mit dem Messer den Bewuchs aus den Schlitzen - keine Korrosion! Auch der Bug war in Ordnung. „Muss wohl mit der Backbordseite gegen einen Dalben gerammelt sein“, dachte ich und schwamm am Kiel zurück. Unter dem Maschinenraum wurde ich schneller, die Vibration durch die laufende Hilfsmaschine war unangenehm. Am Heck kontrollierte ich erst das Ruder, dann die Schraube: Die Flügel warenglatt, die Kanten unbeschädigt, auch der Zinkschutz war noch nicht verbraucht. Wieder an Bord, konnte ich einen doch gespannten LI beruhigen. Nach einer Tasse kräftigen Kaffees und seemännischem Handschlag brachte uns diesmal ein V-Boot wieder in den Hafen. Beim Beladen unseres Fahrzeugs beobachteten wir, dass der Schlepper bereits Anker auf ging und mit seinem geplanten Kurs ablief - einsatzbereit! Bergungsdienst im Einsatz (24.06.1963): Riffbau mit Folgen Ein Einsatz in eigener Sache. Oder: Mal eine andere Art des Politunterrichts. Mit der LUMME fuhren wir in die Prorer Wieck bis ans Seehundsriff, um Polit zu machen, Chef BD mit Besatzung und Tauchern. Und um unserem Chef seine fehlenden Pflichtstunden zu verschaffen, wurde die zweite Tageshälfte als Ausbildung und Gerätetest deklariert. Nun, zum Polit kann ich nichts sagen, muss nicht so toll gewesen sein, vielleicht stand die Durchführung auch nur in der Kladde... Aber an das Tauchen und dessen Folgen erinnere ich mich genau. Einfach so tauchen, ohne was zu tun, ist sehr langweilig. Unser Oberleutnant stand in etwa vier Meter Tiefe an der Ankerkette und atmete Pflichtstunden. Obermeister Felz wollte ihn zum Lachen bringen, damit ihm die Maske vollläuft, denn mit Ausblasen der Maske hatte es unser Chef nicht so. Aber er grinste nicht mal über unsere Albernheiten. So kamen wir dann auf die dumme Idee, Steine aufzuhäufeln, lagen ja genug rum hier am Seehundsriff. Eine richtig hohe Pyramide bauten wir. Dann waren unsere Geräte leer und wir stiegen an Bord. Nach dem Klarieren wollten wir Anker auf gehen und zurück nach Sassnitz laufen. Die Maschine war seeklar, mit Langsame zurück sollte nun der Anker aus dem Grund geholt werden. Dann ein Ruck, ein fürchterliches Krachen und Gebrüll von der Brücke: „Das Ruder ist blockiert!“ Wir brauchten nicht zu tauchen, wir wussten auch so, dass unsere Pyramide zu hoch war - das große Ruder ist nicht dagegen sondern oben drauf gefahren, der vertikale Druck hat den mächtigen gusseisernen Ruderquadranten unter der Achtergräting angehoben, etwas gedreht und wieder abgesetzt -direkt auf die ans Deck geschweißte Backbord-Anschlagbegrenzung. Schlepper? Havariemeldung? Um es kurz zu machen: Wir schäkelten die Ruderketten ab und hoben den sauschweren Quadranten um die erforderlichen drei Zentimeter an - mit ausreichend Leckwehrbalken, -keilen und Vorschlaghammer. Mit kräftigen Schlägen zwangen wir das Teil auf dem Holz in seine alte Lage, schlugen die Auflagen stückweise weg und schäkelten die Ruderketten wieder an. Eine stundenlange Quälerei! Dann sind wir zwei Pyramidenbauer doch noch einmal eingestiegen und haben den schönen Steinhaufen verkleinert, damit nicht noch ein anderer aufläuft. Der Kommandant der LUMME hat nach einigen Tagen auch wieder mit uns gesprochen... Bergungsdienst im Einsatz (03.07.1963): Minensuche Wieder mal eine Mine suchen... Waren wir doch bereits am 23. Mai gute zweieinhalb Stunden auf 20 Meter Tiefe damit beschäftigt, eine Mine zu suchen und zu bergen. Und wieder mal in der Tromper Wieck. Nun wissen wir ja, dass es eine Übungsmine ist, von einem Minenleg- und -räumschiff achteraus geworfen und nicht wiedergefunden. Aber so ein Ding, wenn auch nur mit Beton gefüllt, darf eben nicht so einfach auf dem Grund gelassen werden, sei es nur um Netzhacker bei der Fischerei zu vermeiden. Aber auch, um die Ehre zu retten... Obwohl Anfang Juli, ist das Wasser noch empfindlich kalt 8°C auf 23 Meter. (Das Hobby des Smutjes: Eine Lotleine mit Thermometer bestückt in die Tiefe lassen und sehr schnell wieder einzuholen. Trotzdem ziehen wir immer 1° bis 2° ab...). An der Abwurfstelle, im Legeplan des MLR-Schiffes relativ genau verzeichnet, steigen wir einzeln ein, lösen uns ab. Natürlich haben wir nicht das Glück, über dem Suchobjekt zu ankern... Eigentlich eine langweilige Aufgabe, im grünlichen Dunst über geriffeltem Seegrund zu schweben, mit gleichmäßigen Flossenschlägen die Suchroutine abzuschwimmen. Diesmal stößt Volker auf die im Grund eingeschlagene Ankertaumine vom Typ M08/39. Er schlägt seine Boje an, wir wechseln mal wieder. Beim Abtauchen sehe ich die rot-weiß lackierte obere Halbkugel durch den Dunst schimmern. Behäbig sitzt die Mine in ihrem Ankerstuhl, so wie sie über Bord ging, dicht daneben das Voreilgewicht - irgendetwas muss wohl geklemmt haben... Von oben kommt die Bergeleine, einen großen Schäkel im gespleißten Auge. Ich schlage die Mine am Heißauge an und tauche an der Leine auf. An der Oberfläche schwimmt schon eine Boje mit dem Leinenende - sollen doch die Sperrleute ihren Schrott selber bergen, wir haben mit mehr als drei Stunden jeder unter Wasser unseren Teil getan. Bergungsdienst im Einsatz 10.07. und 15.10.1963 -17.10.1963: Ausbilder Beispieltage einer Aufgabe, die Spaß gemacht hat, aber auch verantwortungsvoll war - die Ausbildung von Schiffstauchern der Flottille. Wir teilten uns die Lehrgänge, die ja neben dem BD-Alltag abgehalten wurden. Die Lehrgangsteilnehmer wurden von ihren Einheiten ausgewählt, wir wussten also nie, wen wir erwarten konnten. Aber in den drei von mir geleiteten Lehrgängen war nie ein Nichtschwimmer dabei... Der Theorie folgte die Praxis. Da wir weder im Hafen Sassnitz noch vom Strand aus schulen konnten und unsere LUMME für bis zu 12 Tauchern zu klein war für effektive Ausbildung, forderten wir ein Landungsboot an in der Gewissheit, dass die Landeklappe eine prima Plattform abgibt. Premiere war am 10. Juli 1963, das „Taucher-Labo“ ankerte über vier Meter Wasser vor Sellin, fierte die Landeklappe, bis sie auf dem Wasser auflag -ausreichend Platz für die Einstiege über eingehängte Leitern. Die Labo-Methode haben wir auch später vor Stubbenkammer benutzt, und soweit mir bekannt ist, wurde sie auch nach 1964 fortgeführt... Also gehen wir an Bord und schauen was passiert: Ein letztes Mal überprüft ein Maschinen-Obermaat sein Tauchgerät, dann bindet er sich mit einem Pahlstek die Signalleine um die Hüften, legt Gerät und Gewichtsgurt an. Auf der Arbeitsplattform kontrolliert sein Signalmann noch einmal, ob alle Leinensignale beherrscht werden, dann gibt er das Zeichen zum Abstieg. Langsam steigt der Obermaat die Taucherleiter hinab, entlüftet den Anzug, nestelt instinktiv am Mundstück herum und taucht ab. Es ist sein erster Taucheinstieg und auch der erste dieses Lehrgangs, auf dem zehn Volksmarineangehörige, Steuerleute, Maschinisten oder Signäler, zu Schiffstauchern ausgebildet werden. Schnell sinkt der Obermaat auf den Grund. Hier erwarte ich ihn schon. Unfreiwillig komisch wirkt ein Schüler, wenn er das erste Mal unter Wasser ist, wenn er versucht, sich zurechtzufinden und sein Gleichgewicht zu bewahren, sich unbeholfen umdreht und seine Signalleine sucht oder die Maske anhebt, um eingedrungenes Wasser auszublasen. Auch dieser Obermaat macht hier keine Ausnahme - er klammert sich fest an seine Signalleine und beobachtet mich mit großen Augen. Mit festem Händedruck begrüße ich den Schüler in Neptuns Reich. Nach dieser Zeremonie zeige ich auf die Signalleine. Kopfnickend antwortet er und zieht 5mal kurz: „Auf Grund alles wohl!“ Der Signalmann quittiert das Zeichen. Ich hatte vor dem Einstieg allen Schülern erklärt, dass ich die jeweilige Übung vormache, und sie sollen sie dann solange üben, bis sie beherrscht wird. Jedes Auftauchen aus Angst und ohne Grund setzt die Note für die Übung herab. Die Signalleine ruckt 5mal kurz: „Wie ist das Befinden?“ will der Signalmann an Bord wissen. Doch dieses Signal erwischt den Obermaat beim Ausblasen der Maske. Er behält die Maske in der Hand, reißt die Augen auf und tastet nach der Signalleine. Luft perlt aus seiner Nase, er hustet, spuckt das Mundstück aus und schießt nach oben. Wild gestikulierend erreicht er die Leiter, sagt keuchend: „Auf Grund alles wohl!", und verschwindet unter dem Gelächter der anderen wieder im Wasser, um die Übung zu wiederholen. Nach vier Tagen werden die letzten beiden Übungen getaucht. Die Tauchtiefe beträgt nun 10 Meter. Bisher wurden Drahtstropps durchgemeißelt, Eisenstangen zersägt, verschiedene Gegenstände angeschlagen, wurde mit Hilfe von Leinensignalen gesucht - aber immer nur in Tiefen von vier bis fünf Metern. Ein Signal-Maat verlässt die Leiter und sinkt langsam am Grundtau in die Tiefe. Am 6-m-Punkt zeigt er auf seine Ohren, nimmt die Maske ab, hält sich die Nase zu - Druckausgleich. Die Maske ist schnell wieder ausgeblasen. Auf Grund angelangt, gibt er "Alles wohl!“ und schwimmt zu dem Doppel-T-Träger, der dem Lehrgang als Arbeitsbock dient. Hier ist mit zwei Zwingen ein Holzbalken festgeklemmt, daneben hängen eine Bügelsäge und ein schwerer Hammer. Der Maat sägt ohne Messgerät zwei gleichlange Stücken vom Balken ab, falzt sie in der Mitte aus und vernagelt sie zu einem Holzkreuz. Er muss höllisch aufpassen, dass ihm die Holzstückchen nicht zur Oberfläche verschwinden ... Zum Abschluss folgt eine Rettungsübung, Gerät und Gewichtsgurt werden unter Wasser abgeworfen, ein Ruck an der Signalleine, und der Signalmann unterstützt den Schüler durch schnelles Einholen der Leine beim Auftauchen. Als praktische Prüfung ist ein Schiffsboden zu untersuchen und der Untersuchungsbericht anzufertigen; in der theoretischen Prüfung müssen die Schiffstaucher in einem Seminar ihre Kenntnisse in Physiologie, Gerätekunde und den entsprechenden Dienstvorschriften beweisen. Ein kleines blaues Buch mit dem Aufdruck „Taucherzeugnis für Schiffstaucher" ist das äußere Zeichen ihrer neuen Qualifikation. Bergungsdienst im Einsatz (20.09.1963): Lecksuche Wenn sich auch Schiffsbodenuntersuchungen nicht sehr voneinander unterscheiden -manche bleiben doch im Gedächtnis: Im Hafen Parow lagen mehrere Landungsboote im Päckchen dicht an dicht, mit dem Heck zur Hafenmauer. Ausgerechnet ein Boot mittendrin sollte untersucht werden. Es nahm Wasser, wenig zwar, aber genug, um eine Untersuchung anzufordern. Der Leitende Ingenieur erklärte mir die Stelle, an der es ein wenig geschrammt haben soll und wo das Wasser eindringen könnte. Meister Felz übernahm den Maschinenraumschlüssel, Obermaat Fissel sicherte mich. Der Abstieg über die Heckleiter war an sich schon beschwerlich, aber das auf dem Wasser treibende Seegras nervte - ich musste da durch und es hinderte das wenige Licht, in der Lücke zwischen Heck und Hafenmauer ins Wasser durchzudringen. So war es doch recht beklemmend, unter den dunklen Boden des Labos zu tauchen. Durch das Päckchen mit den anderen Booten war es, als tauche ich unter eine riesige Stahlplatte. Da ich mich nach den Hinweisen auf die Backbordseite in Hecknähe beschränken konnte, fuhr ich mit den Händen die Platten ab, zu sehen war nichts, nur tasten. Nach zwanzig Minuten etwa bemerkte ich direkt im Übergang vom Boden zur Bordwand eine winzige Delle, in deren Mitte ich mit dem kleinen Finger ein Löchlein fand. Ich hing an der Leiter, berichtete dem LI meinen Fund. Wird wohl doch am Dalben passiert sein, grummelte er und grinste dann wissend. Mit einem Leckwehrpfropfen und einem Hammer bewaffnet wühlte ich mich wieder durchs Seegras. Weit ließ sich der Pfropfen nicht einschlagen, aber er hielt. Ich enterte wieder die Leiter. Obermaat Fissel kam mir entgegen, um mir Werkzeug und Flossen abzunehmen. Das an mir hängende Seegras und der leichte Ölfilm wurden mit einigen Töpfen Wasser abgespült... Ein weiterer Unterschied zu bisherigen Untersuchungen: So recht begeistert war der Kommandant nicht über meinen Bericht, danke nicht und tat so, als hätten wir nun Schuld, dass sein Boot nicht mehr gefechtsbereit war... Bergungsdienst im Einsatz (25.09.1963): Ankersuche In der Tromper Wiek lief irgendeine Übung, wir hatten damit nichts zu tun. Bis dann ein Feuerlöschboot in den Hafen lief und sich gleich neben uns legte - ein FB ohne Steuerbordanker. Keine materielle Kleinigkeit so ein Anker mit seinen Kettenlängen... Wir stiegen über, nahmen Geräte und unsere Leiter mit. Auf der Karte war der Verlustort eingetragen, zudem standen für die Übung einige große Bojen in der See. Als der restliche Anker fiel, war sich der Steuermann ziemlich sicher, die Stelle gefunden zu haben. Ich stieg an der Ankerkette ins Grau, erreichte in 26 Meter Tiefe den Grund. Soviel Glück, gleich den Anker zu sehen, gibt es nicht - also Kreissuche: Eine dünne Leine am steckenden Anker dicht über Grund anschlagen, lang ausschwimmen bis sie straff ist, dann wie an einer Longe einen großen Kreis schwimmen. Blick nach außen, denn wenn was im Innenkreis liegt, knickt die Leine spürbar ein. Und das machte sie dann auch. An der immer straff gehaltenen Leine zur Mitte schwimmen, und nur wenige Meter vom Ankerplatz stand der Anker im Grund. Ich sah etwas ausgelegte Kette, an deren Ende einen großen Haufen Kettenglieder. Schnell war hier die Suchleine angebändselt, das andere Ende vom haltenden Anker gelöst und langsam tauchte ich auf. Volker saß im ausgebrachten Schlauchboot und schlug eine kleine Boje an der Leine an. An Bord Pause im nassen Anzug mit Wattejacke drüber. Wozu soll sich der zweite Mann auch noch anrödeln, es ist ja nur die Hievleine am letzten Kettenglied anzuschlagen... Zweiter Einstieg. Es war kein Problem, das letzte Glied aus dem Kettenhaufen zu buddeln und mit einer Hand senkrecht zu halten. Das Problem begann erst, als ich mit der anderen Hand das lose Ende der weichen und ausgefransten Bergungsleine durch das Kettenglied drücken wollte. Mir fehle eine dritte Hand... Ohne überhaupt nachzudenken spuckte ich nach einem längeren Atemzug mein Mundstück aus, biss in das kurze aus dem Oval schauende Leinenende und zog es kräftig durch. Die Leine kam - und mit ihr mein Stiftzahn, den ich noch in Parow bekommen hatte... Nun ja, Mundstück ausblasen, die Leine verknoten und auftauchen waren Routine. Mit ständig geschlossenem Mund beobachtete ich, wie die Besatzung des Bootes das Kettenende aus der Tiefe holte, durch die Klüse und über das Ankerspill führte - den Rest erledigte das Spill, als ob es nur auf den Befehl zum Ankerhieven gewartet hat. Ich habe knappe zwei Wochen weder gelacht noch gegrinst. Warum die anderen um mich rum grinsten, war mir aber klar... Teil2 des Taucherbuches folgt in der nächsten Ausgabe. Unser Autor Lutz Strobel diverlutze@aol.com Jahrgang 1942, Maschinenbauingenieur und Journalist. Taucht seit 1956, war Kampfschwimmer und Bergungstaucher der Volksmarine der DDR, danach mehr als 20 Jahre erst Redakteur, dann Chefredakteur der Tauchsportzeitschrift „poseidon“.